Die Kunstschule

Palechs gegenwärtige Meister erhielten ihre Ausbildung ausnahmslos an der Maksim Gorʹkij Kunstschule Palech. Auf ihrer Website (palekh-artschool.ru) stellt sich die Lehranstalt vor:

Herzlich willkommen!

Die föderative, staatlich finanzierte Lehranstalt (Fachhochschule) Maksim Gorʹkij Kunstschule Palech ist eine einzigartige Bildungsinstitution an welcher Künstler und Fachlehrer auf den Gebieten der traditionellen Palecher Miniaturmalerei und der Ikonenmalerei ausgebildet werden. Im Rahmen des Studiums eignen sich die Studenten die stilistischen Traditionen der Palecher Kunst an, machen sich vertraut mit den altherkömmlichen Verfahren und Technologien der Temperamalerei auf Levkas und lackierte Oberflächen, erlernen die Blattgoldmalerei und erwerben sich andere, für unsere Zeit aussergewöhnliche Fertigkeiten manueller schöpferischer Tätigkeit. Die Ausbildung dauert drei Jahre und zehn Monate.

Die Schule ist ausgestattet mit allen technischen Einrichtungen wie Werkstätten, Turnhalle und Aula, Ausstellungsräume, Bibliothek sowie einem Computerraum mit Internetzugang. Studierende haben Anspruch auf Stipendien. Alljährlich werden für die Studenten Reisen in alte russische Städte und in die grössten Kunstmuseen durchgeführt.

Allen auswärtigen Studenten steht ein Zimmer in einem Wohnheim zur Verfügung. Die Wohnverhältnisse sind ideal bezüglich Möglichkeiten der Erholung und des selbständigen Arbeitens. So werden z.B. pro Zimmer nicht mehr als zwei Studenten untergebracht.

Herausragende Abschlussarbeiten, welche die Palecher Kunst angemessen repräsentieren, werden gemeinsam mit Arbeiten erfahrener Künstler an Ausstellungen im In- und Ausland vorgestellt.

Absolventen der Schule arbeiten erfolgreich als Lackminiaturmaler und Ikonenmaler. Sie sind in ganz Russland und im Ausland in der Sakralmalerei tätig, leiten Ikonenmalwerkstätten, oder setzen ihre Ausbildung an renommierten Kunsthochschulen und pädagogischen Hochschulen fort.

Zur Ausbildung heissen wir junge, fleissige Leute willkommen. Sie sollten eine zeichnerische Grunderfahrung mitbringen sowie Interesse an russischer Volkskunst und den Traditionen der Vorfahren haben¹.
Direktor der Palecher Kunstschule
Michail Romanovič Belousov
Die Ausbildung von Künstlern ist in Palech nicht erst in neuerer Zeit von Bedeutung, ihre Geschichte reicht vielmehr weit ins 19. Jahrhundert zurück. Einen interessanten Überblick zu dieser Thematik vermittelt Michail Romanovič Belousov in seinem Aufsatz Zur Geschichte der Berufsausbildung von Künstlern in Palech².

Der Verfasser, promovierter Pädagoge und seit 1989 Direktor der Palecher Kunstschule, veröffentlichte unter anderem das Buch Die Berufsausbildung auf dem Gebiet der traditionellen Kunst Palechs³. Der folgende, in vier Kapitel gegliederte Text zur Geschichte der Berufsausbildung von Künstlern in Palech ist eine gekürzte Fassung des Aufsatzes von Michael Belousov. Der deutsche Text basiert auf der Übersetzung von Ana Faye Fegg².
  1. Weblink zur Maksim Gorʹkij Kunstschule Palech: http://palekh-artschool.ru/. Zugriff am 12.04.2022. Aus dem Russischen: Felix Waechter.
  2. M. R. Belousov, Zur Geschichte der Berufsausbildung von Künstlern in Palech, in: Eva Haustein-Bartsch und Felix Waechter: Mythos Palech – Ikonen und Lackminiaturen, Druckverlag Kettler GmbH, Bönen 2010, S. 69-75. Aus dem Russischen von Ana Faye Fegg M.A..
  3. M. R. Belousov. Professionalʹnoe obrazovanie v oblasti tradicionnogo iskusstva Palecha. Istorija stanovlenija i hapravlenija razvitija.akušinskij, Ivanovo 2008


Die Ausbildung zum Ikonenemaler zur Zeit der Zaren
Die Frage der Ausbildung des Meisternachwuchses wurde in Palech mit der Entstehung des hiesigen Ikonenmalerhandwerks aktuell. So ist aus Quellen bekannt, dass gegen Ende des 19. Jahrhunderts der Palecher Sofonov-Ikonenmalwerkstatt neben 200 Meistern auch 70 Lehrlinge angehörten. Nur Jungen im Alter von sechs, sieben oder acht Jahren wurde in die „Lehre" gegeben. Die Ausbildung dauerte sechs Jahre. So konnte ein Lehrling mit 12 bis 14 Jahren bereits ein selbständiger Meister werden.

In den Werkstätten wurde ein spezielles Lehrsystem entwickelt. Grundlegendes Prinzip der Ausbildung war, von leichten zu schweren Arbeiten fortzuschreiten. Am Ende seiner Ausbildung musste der Absolvent ein „Abschlussbild" malen, das sich durch besondere Sorgfalt auszuzeichnen hatte. Ab diesem Zeitpunkt war der Lehrling zu einem selbständigen Meister geworden und den Begabtesten vertraute man wichtige Aufträge unter der Anleitung erfahrener Meister an. So setzten die jungen Ikonenmaler ihre Ausbildung fort, indem sie durch ihre Berufstätigkeit ihre Fertigkeiten vervollkommneten. Aus Sicht der heutigen Pädagogik erweist sich diese von den Ikonenmalern über Jahrhunderte entwickelte und erprobte „funktionale" Vorgehensweise als sehr wichtig. Die Aneignung von Fähigkeiten und Fertigkeiten im Rahmen gemeinsamer Tätigkeit von erfahrenen und jungen Meistern, von Lehrmeistern und ehemaligen Schülern sollte sich später auch in der Sowjetzeit bewähren. Auch hier galt, dass die berufliche Vervollkommnung in der gemeinschaftlichen Tätigkeit eine unabdingbare Voraussetzung für die langfristige Entwicklung eines jungen Künstlers war.

Im Jahr 1902 eröffnete das Komitee zur Pflege der russischen Ikonenmalerei in Palech die Staatliche Lehrwerkstatt für Ikonenmalerei. Den Ukas zu deren Eröffnung unterzeichnete Zar Nikolaj II. eigenhändig. In der Lehrwerkstatt wurde die Berufsausbildung durch Unterricht in Kirchengeschichte, Archäologie und Ikonographie ergänzt. Zum Leiter der Palecher Lehrwerkstatt wurde der Absolvent der Kaiserlichen Akademie der Künste, Evgenij Ippolitovič Stjagov ernannt. Er lehrte Kunstgeschichte, Zeichnen, Malerei, Perspektive und Anatomie. Die besten Ikonenmaler der Sofonov-Werkstatt wurden als Dozenten an die Schule berufen. Allerdings musste sich die Mehrzahl der Schüler nach Abschluss ihrer Ausbildung Arbeit in einer anderen Stadt suchen, sie wurden von den Palecher Werkstattinhabern boykottiert. Die Staatliche Lehrwerkstatt für Ikonenmalerei bestand bis ins Jahr 1918.
Die Ausbildung zum Lackminiaturkünstler in Palech zur Zeit der Sowjetunion bis Mitte der 1930er Jahre
Aus: Anatolij Vasilievič Bakušinskij Iskusstvo Palecha, Academia Verlag 1934.
I.M. Bakanov: Titelvignette Seite 212.
Als man in den 1930er Jahren begann, mit staatlichen Mitteln Meister der Lackminiaturmalerei auszubilden, wurde der pädagogische Ansatz der Staatlichen Lehrwerkstatt für Ikonenmalerei übernommen.

Durch Absolventen und Lehrer der Staatlichen Lehrwerkstatt für Ikonenmalerei wurde nun nicht nur auf der stilistischen Grundlage der traditionellen russischen Ikonenmalerei die völlig neue Kunst der Palecher Lackminiaturmalerei begründet, sondern auch die Berufsausbildung der Lackkünstler organisiert. Dabei erfüllten die einstigen erfahrenen Ikonenmaler in der neuen politischen Situation auch den sozialen Auftrag jener Zeit – die während drei Jahren ausgebildeten jungen Meister waren nicht nur in der Lage, einzigartige Kunstgüter für den Export herzustellen, sie sahen sich als Künstler auch der Tradition verpflichtet. Die theoretische Basis für die Ausbildung in der Palecher Kunst der Lackmalerei legte der Kunsthistoriker Anatolij Vasil'evič Bakušinskij. Viele seiner Schlussfolgerungen, die er 1934 in der Monographie Die Kunst Palechs¹ formulierte, sind auch heute aktuell. Bereits damals schrieb er: „Die Frage der Gegenwart und Zukunft Palechs wird nicht so sehr durch die Entwicklung der alten Generation der Meister entschieden, sondern vielmehr durch die richtige Ausbildung des Nachwuchses". Bakušinskij betonte stets, dass sich Palech unbedingt ein neues künstlerisches Denken aneignen müsse, „…ohne sich selbst, ohne seine vergangene Kunst zu verleugnen, ohne sich von seinen Wurzel zu entfernen". Dabei war es nicht einfach, in einer säkularisierten Gesellschaft, in welcher der Einfluss der Religion, der religiösen Kunst und der alten Traditionen aus dem individuellen und gesellschaftlichen Bewusstsein ausgemerzt wurde, ein solches Konzept in der Praxis umzusetzen. Die ehemaligen Ikonenmaler benötigten grossen Mut, um z.B. die alten Ikonenmalbücher in einer Zeit aufzubewahren, als diese überall verbrannt wurden. Unter den gegebenen Umständen war es auch unmöglich, die besten Beispiele altrussischer Malerei und die Palecher Ikonographie als methodisches Material für Ausbildungszwecke zu benutzen oder als Vorbilder darzustellen.
Ivan Bakanov mit Studenten
Credit: Maksim Gorʹkij Kunstschule Palech
Der Beginn des Ausbildungslehrgangs, nun unter der Leitung der Genossenschaft für Alte Malerei, der ersten Vereinigung der Miniaturmaler, wurde auf den Oktober 1926 festgelegt. Der erste Schüler war Pavel Baženov, der an der Staatlichen Lehrwerkstatt für Ikonenmalerei ausgebildet worden war. Im Januar 1928 wurden bereits sechs Schüler aufgenommen. Als Lehrer wurden I. M. Bakanov, I. V. Markičev, I. I. Golikov, A. V. Kotuchin, I. P. Vakurov und D. N. Butorin berufen. In den folgenden Jahren stieg die Zahl der Schüler kontinuierlich, 1929 waren es 24 und 1931 bereits 50. Es war beabsichtigt, die Absolventen ausschliesslich auf die Herstellung von Massenproduktion vorzubereiten. Die Ausbildungsmethode beruhte auf dem Prinzip eines individuellen Unterrichts. Jeder einzelne Lehrmeister musste den Erfolg oder Misserfolg seines Schülers vor dem Kollektiv verantworten. Der Schüler befand sich immer unter der unmittelbaren Beobachtung seines Lehrers. Bakušinskij beschrieb den Vorteil dieser Methode: „Nicht nur der Lehrer kann in jedem beliebigen Moment seine Aufmerksamkeit auf die Arbeit des Schülers richten, sondern auch der Schüler kann stets die Arbeit seines Ausbilders beobachten, er hat den Produktionsprozess direkt vor Augen. Diese Methode gewährleistet ein Höchstmass an Einfluss vom Lehrer auf den Schüler und ein Maximum an Ertrag für den Letzteren"¹.
  1. A. V. Bakušinskij, Iskusstvo Palecha, Moskau/Leningrad 1934.
Palechs Kunstschule Maksim Gor'kij
Dennoch wurde diese „mittelalterliche Methode" der individuellen Ausbildung nach wenigen Jahren verworfen. An ihre Stelle trat Mitte der dreissiger Jahre der Unterricht in Klassen – also die Ausbildung in Gruppen. Im Jahr 1935 wurde die Berufsschule zu einer Kunstfachschule umstrukturiert und kam 1936 vom Volkskommissariat für Bildungswesen unter die direkte Leitung des Komitees der Sowjetunion für Angelegenheiten der Künste. Die Schule wurde umbenannt in Maksim Gor'kij Kunstschule. Schwerpunkte der Ausbildung waren die technische Erschliessung elementarer verfahrenstechnischer Methoden der Palecher Miniaturmalerei, die präzise Reproduktion eines Bildes, seine mechanische Vervielfältigung.

Die altrussischen Traditionen der Ikonenmalerei wurden nicht gelehrt. In den 1950er Jahren hielt man die Ikonenmalbücher und die Ikonenvorzeichnungen, welche im Palecher Museum verwahrt wurden und anhand derer man die Bildsprache und die stilistischen Traditionen der altrussischen Malerei studieren konnte, für völlig veraltet und archaisch. Auf diese Weise wurde die bedeutende, für die Palecher Malerei ursprüngliche Kunst für drei Jahrzehnte aus dem geistig-schöpferischen, ästhetischen und stilistischen Instrumentarium der Palecher Kunst gestrichen. Die 1940er und 1950er Jahre waren eine der schwersten Phasen in der Geschichte der Palecher Kunst. Sie wurde von vielen Kunsthistorikern und Künstlern wegen den zunehmend realistischen Tendenzen im Kunstschaffen negativ bewertet. Die Palecher Kunst bekam in diesen Jahrzehnten den mächtigen Druck staatlicher Ideologie zu spüren. Der sozialistische Realismus zerstörte das künstlerische Gefüge der Miniatur. Der dem Wesen der Palecher Kunst fremde sozialistische Realismus übertrug sich auch auf die Kunstschule, was in den Diplomarbeiten jener Zeit anschaulich wird. Bis zu 70 Prozent aller Diplomarbeiten zwischen 1948 und 1959 sind Beispiele für den „Palecher Sozrealismus". Sujets mit Märchen und Bylinen galten als rückständig. Doch an den besten Diplomarbeiten jener Jahre bemerkt man auch den aufrichtigen Realitätssinn der jungen Generation, einen durch den Pathos der Nachkriegsjahre kultivierten unverfälschten Patriotismus: Heroischer Komsomol, Alle zu den Wahlen, Heldentat der sowjetischen Matrosen, Partisanen auf der Lauer, Gruppe einer Kolchose, Rückkehr von der Front, Der Aufbau des Kommunismus.

Die 1960er Jahre bedeuteten für die gesamte sowjetische dekorative Kunst eine Zeit der Wende. In der Kunstschule begannen Versuche, sich mit Beispielen altrussischer Malerei der Stroganovschule sowie der Schulen von Novgorod und Jaroslavl' zu beschäftigen. Natürlich studierten die Schüler weder die Theorie noch die Ursprünge der orthodoxen Weltanschauung, und es wurde keinerlei spezielle Lehrmethodik der Ikonenmalerei angewandt.

Von herausragender Bedeutung in dieser Zeit war die Mitarbeit des Künstlers, Lehrers und Schriftstellers N. M. Zinov'ev. Dieser entwickelte eine einzigartige Methodik, gestaltete Lehrinhalte für das grundlegende Fachgebiet (Technik der Palecher Miniatur) und stellte als Hilfsmittel für den Unterricht wertvolles didaktisches Material (Originale) zusammen. Der Höhepunkt seiner pädagogischen und wissenschaftlich-methodischen Tätigkeit fällt in die 1960er und 1970er Jahre. Zinov'ev veröffentlichte das von ihm sorgfältig ausgewählte und systematisierte Material in den Büchern Die Kunst Palechs¹ und Stilistische Traditionen der Kunst Palechs². Diese enthalten Hunderte von Musterzeichnungen von Künstlern für die Methodik und Durchführung des Unterrichts in traditioneller Palecher Malerei, sie wurden zu einem äusserst wertvollen Beitrag an die Entwicklung der russischen Kultur. Die von Zinov'ev geschaffenen Kopiervorlagen bilden auch heute noch gut die Hälfte des Bestands an Originalen der Schule.

In den 1970er bis 1980er Jahren war der Beruf des Meisters der Palecher Lackminiatur so hoch angesehen wie nie zuvor. Dies ergab sich aus dem „autarken" Wirtschaftszweig der Kunstproduktion, die dem Aussenhandel angegliedert war, und der aktiven Protektion Palechs durch den Staat. Deshalb verknüpfte eine überwältigende Mehrheit der Palecher Künstler die Zukunft ihrer Kinder mit diesem Gewerbe. In der Schule liess der Strom auswärtiger Abiturienten nicht nach, vier bis sechs Schüler bewarben sich auf einen Platz. Das Kulturministerium der RSFSR legte einen für die Palecher Kunstschule spezifischen Lehrplan fest, und verlängerte die Ausbildung auf fünf Jahre. Der Palecher Meister war nun vor allem ein Maler, der der nationalen Kunst der Malerei verpflichtet war und der sich die Prinzipien einer bestimmten Gattung der bildenden Kunst, die der stilistischen Traditionen der altrussischen Malerei, angeeignet hatte. Er erlernte also nicht einfach eine handwerkliche Fertigkeit oder die stereotype Ausgestaltung einer Lackminiatur.
  1. N. M. Zinov'ev, Iskusstvo Palecha, 1. Aufl., Leningrad 1968, 2. Aufl., Leningrad 1974.
  2. N. M. Zinov'ev, Stilističeskie tradicii iskusstva Palecha, Leningrad 1981.
Postsowjetische Veränderungen und gegenwärtige Situation
In den 1990er Jahren zerfiel das System der Arbeitsorganisation der Palecher Künstler, und die Berufsausbildung wurde den Bedingungen der freien Marktwirtschaft angepasst, in der das Gesetz von Angebot und Nachfrage gilt. Die Instabilität des ehemals weltweit bekannten und ökonomisch erfolgreichen Gewerbes, die Schliessung eines unlängst noch blühenden künstlerischen Produktionszweiges erzeugte bei den Absolventen der Schule Zukunftsängste. Diese verliessen sich traditionell auf eine garantierte, ihrer Qualifikation angemessene Beschäftigung. Unter den heutigen Bedingungen müssen die Palecher Schulabsolventen ihre Erwerbstätigkeit selbständig planen, sie müssen wie alle anderen freischaffenden Künstler lernen, in der Marktwirtschaft zu arbeiten und zu bestehen.

Mit der Einführung der Staatlichen Bildungsstandards wurde 1997 die Ausbildungsdauer von fünf Jahren auf vier Jahre verkürzt. Seit den 1990er Jahren bis in die Gegenwart funktioniert die Schule unter den neuen sozioökonomischen Bedingungen autonom.

Die aktuelle soziokulturelle Situation in Russland und somit auch in Palech hat sich gegenüber der Vergangenheit grundlegend verändert. Die Palecher Kunstschule arbeitet unter schwierigen Bedingungen, die der traditionellen russischen Kultur einschliesslich der ihr verpflichteten Künstlern nicht förderlich sind. Dazu gehören insbesondere ein Entfremdungsprozess der Jugend von ihren nationalen Wurzeln, ein Bruch zwischen den Generationen und ein aggressives Vordringen der Massenkultur. Als Folge davon verkümmert die Fantasie der Kinder, schöpferisches Wirken und selbständiges Denken treten in den Hintergrund. Da die neuen soziokulturellen Prozesse irreversibel geworden sind und die Ausbildung von Spezialisten mit normativ vorgegebenen Qualitäten den marktwirtschaftlichen Anforderungen nicht mehr entspricht – das zeigt die sinkende Nachfrage nach Lackminiaturen – wird eine inhaltliche und pädagogische Erneuerung der Berufsausbildung für traditionell ausgerichtete Künstler unumgänglich.

Diese pädagogische Neuausrichtung basiert auf einer grundsätzlichen Überlegung: Volkskultur und orthodoxe Kultur bilden ein einheitliches weltanschauliches System mit eigener Symbolik und eigenen Traditionen, sie sind das geistige Fundament einer eigenständigen Nationalkultur. Die Kunst Palechs ist in ihrem Wesenskern eine ausgesprochen russische und zutiefst nationale Erscheinung. Eine Ausbildung auf diesem Gebiet muss sich deshalb eingehend auseinandersetzen mit den Wurzeln dieser Kunst – der altrussischen Malerei – und mit deren geistigen Quellen – der orthodoxen Kultur –, d.h. mit den eigenen nationalen, künstlerischen, ästhetischen und geistigen Werten.

So können an der Kunstschule die Traditionen der Ikonenmalerei Palechs auf der Grundlage der sehr reichen Erfahrung der vorrevolutionären Zeit wiederbelebt werden. Das entspricht den praktischen Ansprüchen und persönlichen Interessen einer Mehrzahl der Studenten, die ganz konkret eine berufliche Tätigkeit als Sakralmaler anstreben. Aus diesem Grund werden neu die Fächer „Ikonenmalerei" und „monumentale Kirchenmalerei" unterrichtet. Ebenfalls angeboten werden die Wahlkurse „Grundlagen der orthodoxen Kultur" und „Altrussische kanonische Malerei". Der Erfolg dieser Neuerungen zeigt sich in einer wachsenden Motivation der Studenten, aber auch bei der schnellen Vermittlung von Arbeitsplätzen für die Schulabgänger.